Montag, 20. Juni 2011

Das größte Radioteleskop der Welt

Das größte Radioteleskop der Welt

China ist nicht nur in der Industrie mitten im „Großen Sprung nach vorn“, sondern auch in der Astronomie. Das zeigt sich an dem Plan, das größte Radioteleskop der Welt zu bauen.

Im Moment steht das größte Radioteleskop der Welt in Puerto Rico im National Astronomy and Ionosphere Center, Arecibo

Es entsteht in der südchinesischen Provinz Guizhou, Baubeginn war vor wenigen Wochen. Das Ohr zum All wird riesig: Sein Reflektor soll 500 Meter Durchmesser haben. Damit übertrifft es den bisherigen Rekordhalter, das 305-Meter-Teleskop von Arecibo auf Puerto Rico, bei weitem. „Five-hundred-metre Aperture Spherical Radio Telescope“ (Fast) nennen seine Konstrukteure den Koloss, zu deutsch: Sphärisches Radioteleskop mit 500 Meter Öffnung.

Sphärisch deshalb, weil der Reflektor des Teleskops eine kugelförmige Geometrie hat. Wie eine riesige Schüssel wird er in ein 800 Meter breites Tal eingepasst. Diese Konstruktion gleicht der von Arecibo. Dort gibt es ebenso wie in Guizhou eine ausgedehnte Karstlandschaft. Sie ist übersät von Dolinen, die entstanden, weil das Wasser über Äonen den dort dominierenden Kalkstein auswusch. Anhand von Satellitenbildern und Geländeexkursionen wählten Forscher der National Astronomical Observatories (NAO) in Peking die von Bergen umgebene Senke aus. Sie ist weit genug von Bevölkerungszentren entfernt, um vor Störstrahlung aus technischen Radioquellen sicher zu sein. Allerdings ist das Gebiet nicht völlig unbewohnt. Am Grund der Senke lebten rund 80 Menschen in einem kleinen Dorf. Darunter waren einige Kinder, die auf dem Weg zur Schule jeden Tag über die Berge gehen mussten. Diese Menschen wurden nach Angaben der NAO in die nächste Stadt umgesiedelt.

Gigantisch, aber unbeweglich

Für den Bau des Reflektors müssen Arbeiter eine Million Kubikmeter Boden bewegen. Sie schaffen in dem Tal eine halbkugelförmige Konstruktion, auf der die 4400 dreieckigen Aluminiumlatten ruhen, die zusammen den Reflektor bilden. Er bündelt die aus dem All einfallenden Radiowellen auf die eigentliche Antenne, die – an Kabeln befestigt – im Focus des Reflektors hängt. Die Grundkonstruktion gleicht damit dem Radioteleskop von Arecibo. Doch einen entscheidenden Unterschied gibt es: Die Anlage auf Puerto Rico hat einen unbeweglichen Reflektor mit kugelförmiger Geometrie. Er reflektiert die einfallende Strahlung auf weitere Spiegel, die in einer Kuppel an einem bogenförmigen, über 100 Meter langen Arm untergebracht sind. Dieser wiederum ist an einer großen Plattform befestigt, die an Kabeln über dem Reflektor hängt.

Die Kuppel ist beweglich und kann so das größte Manko des Riesenteleskops ausgleichen: Weil es nicht schwenkbar ist, kann es nur die Strahlung aus dem gerade über ihm liegenden Teil des Firmaments empfangen. Die Kuppel lässt sich aber an dem Arm entlang bewegen. Die Reflektoren darin können so Strahlung aus verschiedenen Himmelsarealen empfangen oder Objekte verfolgen, die durch die Erddrehung aus dem Focus laufen. Sie fokussieren die Radiowellen auf Hornantennen, die den Wellensalat zu den Detektoren leiten.

Eine vergleichbare Konstruktion würde über 10 000 Tonnen wiegen. Deshalb ersannen die Konstrukteure eine Alternative: Sie nutzen den großen Primärreflektor, um die einfallenden Signale zu bündeln. Dazu wird jeweils eine gewisse Zahl der Aluminiumplatten zu einem Subreflektor zusammengefasst. Ein System aus Kabeln und Motoren formt sie zu einem Parabolspiegel von 300 Meter Durchmesser, der damit fast ebenso groß ist wie das Teleskop von Arecibo. Diese Untereinheit lässt sich überall auf dem 500 Meter durchmessenden Reflektor positionieren. Sie reflektiert die Wellen in einen Empfänger, der an Kabeln über dem Reflektor hängt. Durch diese Technik können die Astronomen bis zu 19 Himmelsareale simultan in verschiedenen Wellenlängenbereichen des Radiospektrums beobachten. In Arecibo lassen sich nur sieben Gebiete am Firmament parallel erfassen.

Ein beeindruckendes Objekt

Touristen besichtigen das „Ohr zum All“

Auf diese Weise kann Fast sein Gesichtsfeld ausweiten und größere Himmelsareale beobachten. Ebenso ermöglicht der technische Trick das Nachführen des Focus, um Himmelsobjekten auf ihrem Weg über das Firmament zu folgen. „Fast ist ein beeindruckendes Objekt“, erklärt der Astronom Subramaniam Ananthakrishnan vom National Centre for Radio Astrophysics im indischen Pune. „Wenn es fertig gestellt ist, wird es das größte und empfindlichste Radioteleskop der Welt sein.“ Im September 2016 soll der Koloss in Betrieb gehen.

Die Riesenantenne kann dann Signale aus einer dreimal größeren Entfernung empfangen als Arecibo. Die Himmelsforscher erwarten, Zehntausende neuer Galaxien und andere Himmelsobjekte zu finden, die bis zu sieben Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Dazu zählen Pulsare und Supernova-Überreste. Solche Beobachtungen können helfen, die Allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins zu testen. Viele der Galaxien werden im sichtbaren Licht unsichtbar bleiben. Fast kann sie jedoch anhand der Strahlung identifizieren, die das neutrale Wasserstoffgas in ihren Scheiben emittiert. Daraus können die Forscher Schlüsse über die Evolution des Universums und die Natur der Dunklen Materie ziehen.

Erde an ET

Mit dem neuen Riesenteleskop verfolgen die Astronomen noch einen besonderen Zweck. Wie schon mit der großen Schüssel von Arecibo wollen sie damit nach Signalen außerirdischer Zivilisationen lauschen und dazu 5000 sonnenähnliche Sterne anpeilen. „Fast könnte einen starken Sender, mit dem Radarwellen abgestrahlt werden, noch in 1000 oder mehr Lichtjahren Distanz aufspüren“, meint der Astrophysiker Seth Shostak vom SETI Institute im kalifornischen Ort Mountain View.

Umgekehrt lässt sich das neue Radioteleskop auch als Sender nutzen. Seine Riesenschüssel reflektiert Signale, die hineingestrahlt werden, hinaus ins All. Bei der Antenne von Arecibo haben dies die Astronomen Frank Drake und Carl Sagan bereits praktiziert. Im November 1974 sandten sie eine Botschaft in Richtung des Kugelsternhaufens Messier 13, der in rund 25 000 Lichtjahren Entfernung im Sternbild Herkules steht. Sie enthält binär codierte Informationen über die Biologie des Menschen, die Menschheit sowie die Erde. Ziel ist, Kontakt mit einer außerirdischen Intelligenz aufzunehmen. Den Kugelsternhaufen wählten die Forscher aus, weil sich darin sehr viele Sterne auf engstem Raum tummeln. Dies sollte die Chance erhöhen, auf eine bewohnte Welt zu treffen. Mittlerweile haben die Signale gut 270 Billionen Kilometer zurückgelegt. Auf eine Antwort – so denn eine kommt – müssen die Nachfolger von Drake und Sagan allerdings noch eine Weile warten: Bei der Laufzeit der mit Lichtgeschwindigkeit fliegenden Funkwellen könnte die Rückmeldung einer technisch entwickelten Zivilisation frühestens nach knapp 50 000 Jahren auf der Erde eintreffen.