Mittwoch, 22. Juni 2011

Freiheit für Chinas Gefangenen Nummer eins

Freiheit für Chinas Gefangenen Nummer eins

Ai nach seiner Entlassung mit einem Journalisten: "Vergehen" zugegeben?

China hat seinen bekanntesten Gefangenen Ai Weiwei aus der Haft entlassen. Der Zeitpunkt überrascht, nächste Woche trifft Premier Wen Angela Merkel. Ist die Freilassung ein Geschenk für die Kanzlerin? Denkbar ist auch, dass ein Machtkampf in Peking dahintersteckt.

Er war der bekannteste Gefangene Chinas - offiziell wegen Steuerhinterziehung inhaftiert, tatsächlich wohl aus politischen Gründen von der Bildfläche verschwunden, weil er der chinesischen Führung zu unbequem geworden war. Jetzt ist der Künstler Ai Weiwei wieder frei.

Ai selbst bestätigte mit einer kurzen Textmeldung seine Freilassung. Das teilte sein Freund Liu Xiaoyuan, ein Menschenrechtsanwalt, in Peking mit. "Ich kann nichts weiter sagen, weil ich auf Kaution frei bin", sagte Ai Reportern, die sich nach der Nachricht von seiner Entlassung vor sein Haus gekommen waren. Auch die Schwester des chinesischen Künstlers bestätigte, dass ihr Bruder frei sei. "Weiwei ist wieder zu Hause", teilte Gao Ge mit. Ihr Bruder sei "extrem glücklich", habe aber während der Haft deutlich an Gewicht verloren.


Seit Ais Inhaftierung am 3. April 2011 hatten Künstler und Politiker in der westlichen Welt und insbesondere in Deutschland immer wieder vehement die Freilassung des Regiemekritikers gefordert. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte ebenso protestiert wie der Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll sich persönlich für den Inhaftierten eingesetzt haben. Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste in Berlin, hatte in einem Interview gar eine militärische Befreiungsaktion gefordert.

Bemerkenswerter Zeitpunkt der Freilassung

Die überraschende Freilassung fällt auf einen bemerkenswerten Zeitpunkt: Am Montag besucht der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao Berlin. Hier sollen die ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen stattfinden. Die Vermutung, Ais Haftentlassung könnte eine Geste des guten Willens vor dem Staatsbesuch sein, ist zwar naheliegend, unterstellt jedoch ein beispielloses Eingehen auf westliche Forderungen durch die chinesische Führung. Peking hatte sich bisher stets betont unabhängig und unbeeindruckt von westlichen Wünschen nach mehr Meinungsfreiheit und Beachtung von Menschenrechten gegeben.

Denkbar ist auch, dass der überraschende Entlassungsakt mit den inneren Machtkämpfen im chinesischen Staatsapparat zu tun hat. Die Führung ist, was ihre Haltung zu kritischen Bürgern betrifft, nicht homogen. Auch ein Zusammenhang mit einem bevorstehenden Machtwechsel ist nicht ausgeschlossen. 2012 wird wohl Xi Jinping neuer Staatspräsident werden, über dessen Linie noch wenig bekannt ist.

Die aktuelle chinesische Führung hat sich die Forderungen nach Freilassung Ais stets als Einmischung in innere Angelegenheiten verbeten. Der Westen unterstütze einen "mutmaßlichen Kriminellen", kritisierte das chinesische Außenministerium. Nun gibt Peking an, Ai Weiwei sei aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen worden. Der Künstler leidet an Diabetes. Zudem habe er "seine Vergehen" zugegeben, meldet Xinhua.

Dem Künstler war vorgeworfen worden, mit seiner Firma "Fake Cultural Development" eine "riesige Summe" an Steuern hinterzogen zu haben. Seine Familie hat diese Vorwürfe stets bestritten. Das Verfahren gegen Ai habe nichts mit Meinungsfreiheit oder Menschenrechten zu tun, verlautete die chinesische Führung.


Ai Weiwei war den chinesischen Autoritäten in den vergangenen Jahren zunehmend unangenehm geworden, weil er offen und ungeschminkt Missstände in seinem Land anprangerte, so zum Beispiel in seinem - später behördlich geschlossenen - Blog. Nach dem Erdbeben in Sichuan 2008 leitete er Untersuchungen zum Einsturz zahlreicher Schulen. Zudem initiierte er eine "Bürger-Ermittlung" zu einem Brand, bei dem im November 2010 in Shanghai 58 Menschen ums Leben kamen. Ai Weiwei gab zahlreichen westlichen Medien Interviews, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen.

Sollte Ai Weiwei, dessen Familie noch nicht offiziell über die Freilassung unterrichtet ist, tatsächlich demnächst aus China ausreisen dürfen, könnte er in Berlin sofort eine neue Stelle antreten: Zwei Wochen nach seiner Verhaftung war ihm eine Professur an der Hochschule der Künste in Berlin angeboten worden. Zudem bereitete Ai noch kurz vor seiner Verhaftung die Eröffnung eines neuen Ateliers nahe der deutschen Hauptstadt vor.