Sonntag, 22. Januar 2012

Das Comeback des totgesagten Scharfmachers

Das Comeback des totgesagten Scharfmachers

Der konservative Ex-Abgeordnetenpräsident Newt Gingrich triumphiert bei den Vorwahlen in South Carolina und sieht sich schon als Herausforderer von Barack Obama. Die gemäßigte Parteispitze reagiert entsetzt. Insider befürchten einen Krieg der Republikaner.

Newt Gingrich und seine Frau Callista
Der Mann des Tages lässt sich Zeit. Erst zweieinhalb Stunden nachdem er zum Sieger der republikanischen Vorwahlen im US-Staat South Carolina erklärt wurde, tritt Newt Gingrich endlich vor seine Anhänger. Dutzende von Handy-Kameras richten sich aus dem Publikum auf den 68-Jährigen. Die Fans skandieren lautstark „Newt, Newt, Newt“, als der frühere Präsident des US-Repräsentantenhauses die Bühne besteigt.

Gingrich hebt beide Arme, um die Menge zu beruhigen und quält sich ein kurzes Lächeln heraus. Er wirkt weder gelöst, noch zufrieden über den Erfolg. Seine Augen blitzen aggressiv, wie die eines Kriegers, der gerade eine Schlacht gewonnen hat und es nicht erwarten kann, gleich wieder ins nächste Gefecht zu ziehen.

Gingrich bezeichnet Obama als „Desater-Präsidenten“
Genauso wie er auftritt, spricht Gingrich auch. Seine Siegesrede wird zur offenen Kampfansage gegen seine Feinde. Die sind in Reihenfolge: die „führenden amerikanischen Medien“, die „anti-religiösen Eliten in den USA“ und natürlich Barack Obama, den der Historiker zum „Desaster-Präsidenten“ erklärt: „Wenn der wiedergewählt werden sollte, wäre das für unser Land eine Katastrophe.“

Aus diesem Grund will es Gingrich jetzt allen zeigen: den bösen Medien, den gottlosen Linken und vor allem dem verheerendsten Präsidenten der US-Geschichte. Er werde – so verspricht er – als nächstes Staatsoberhaupt Amerika vor dem Untergang retten: „Dies sind die wichtigsten Präsidentschaftswahlen, die es zu unseren Lebzeiten jemals gab.“

Gingrich wurde bereits abgeschrieben

Gingrich strotzt vor Selbstvertrauen. Ihm ist an diesem Samstag ein Comeback gelungen, das in der amerikanischen Politik seinesgleichen sucht. Vor einer Woche galt der Mann aus dem Südstaat Georgia noch als so gut wie erledigt. In Umfragen lag er zweistellig hinter dem bisherigen Favoriten, Ex-Gouverneur Mitt Romney. „Der soll endlich seinen Hut nehmen und gehen“, unkten einige Republikaner-Strategen-

Doch in den letzten beiden Fernsehdebatten vor den Vorwahlen riss Gingrich das Ruder plötzlich herum. Der Todgesagte präsentierte sich als angriffslustiger Alpha-Mann und glänzte damit bei den Wählern in dem streng-konservativen Südstaat. Als CNN-Moderator John King den dreimal verheirateten Gingrich live vor laufender Kamera auf jüngst geäußerte Vorwürfe von dessen zweiter Frau Marianne ansprach, wonach er sie zu einer „offenen Ehe“ aufgefordert haben soll, bellte dieser zurück: „Ich bin entsetzt darüber, dass CNN diesen Schund zum Gegenstand eines Präsidentschaftsduells macht.“

Der Moderator erntete Buh-Rufe aus dem Saal, der Kandidat stehenden Applaus. „John King hätte Gingrich kein besseres Wahlgeschenk machen können“, meinte anschließend der frühere Berater von Ex-Präsident George W. Bush und Republikaner-Stratege Karl Rove: „Gerade konservative Wähler lieben es, wenn einer ihrer Kandidaten die Medien attackiert. Denn diese sind den meisten viel zu links.“

Gingrich siegt mit deutlichem Vorsprung

Die Taktik zahlte sich aus: Gingrich gewann die Vorwahlen in South Carolina am Samstag mit 40 Prozent. Romney landete mit großem Abstand und nur 28 Prozent auf Platz zwei. Dritter wurde der frühere Senator Rick Santorum (17 Prozent), Vierter der Texas-Abgeordnete Ron Paul (13 Prozent).

Bei seiner Siegesrede inszeniert sich Gingrich schon als künftiger Obama-Gegner. „Ich werde den Präsidenten zu sieben Drei-Stunden-Debatten herausfordern“, kündigte er an und fügte spöttisch hinzu: „Er darf dabei sogar seinen Teleprompter verwenden.“ Der letzte Halbsatz ist eine Anspielung auf Obamas Redenstil. Er liest bei öffentlichen Auftritten fast alle seine Ansprachen vom Bildschirm ab.

Romney spricht von einem „harten Wettbewerb“

Mitt Romney (r.) und seine Frau Ann Romney
Doch bevor er sich mit dem Präsidenten im Fernsehen duellieren kann, muss Gingrich zunächst die republikanische Nominierung fürs Weiße Haus gewinnen. Und bis dahin ist es noch ein weiter Weg. South Carolina war erst die dritte von über 50 Vorwahlen, die bis Ende Juni in den Bundesstaaten und Territorien der USA stattfinden. Ein klarer Favorit ist bisher nicht in Sicht. Der Auftaktsieg in Iowa ging an Santorum, in New Hampshire setzte sich Romney durch und in South Carolina Gingrich.

Das Rennen ist wieder völlig offen

„Dies ist ein harter Wettbewerb und wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns“, konstatiert denn auch Romney trocken. Eigentlich hatte der 64-Jährige frühere Gouverneur von Massachusetts, der zum gemäßigten Republikaner-Flügel zählt, auf den entscheidenden Durchbruch in South Carolina gehofft. Damit wäre er der klare Frontrunner im Kandidatenfeld gewesen und hätte die Nominierung bereits zum Greifen nahe gehabt. Jetzt ist das Rennen völlig offen.

Mehrere führende Republikaner, darunter auch South Carolinas populäre Gouverneurin Nikki Haley, hatten Romney bei seiner Kampagne unterstützt und zu Wahlkampfveranstaltungen begleitet – umsonst. Dagegen war Gingrich als radikal-konservativer Einzelkämpfer und Anti-Obama aufgetreten und hatte seinen Sieg ohne jede Hilfe von oben geschafft.

Parteikollegen über Gingrich: „Er überschätzt sich völlig“

Die gemäßigte republikanische Spitze zeigt sich entsetzt. Denn der machthungrige und streitsüchtige Gingrich gilt in der eigenen „Grand Old Party“ als undisziplinierter Scharfmacher. „Er überschätzt sich völlig, will stets im Mittelpunkt stehen“, klagt etwa der Republikaner-Abgeordnete Peter King: „Er besitzt weder die Kraft, noch die Fähigkeit, sich zu kontrollieren.“

Gingrich: „Kannibalismus gehört zum Geschäft“

Gingrich hat Politik schon immer als Kampfsport verstanden. Als er 1978 erstmals zum Kongressabgeordneten gewählt wurde, bläute er dem republikanischem Parteinachwuchs ein, mit politischen Feinden kurzen Prozess zu machen: „Das große Problem der Republikaner ist, dass wir Euch nicht dazu ermutigen, so richtig gemein zu sein“, klagte er: „Kannibalismus gehört zum Geschäft.“

Wie Gingrich sich politische Vernichtungsschlachten vorstellt, demonstrierte er in den 1990er-Jahren: Er führte eine republikanische Wählerrevolution an, die die 40-Jährige demokratische Herrschaft im US-Abgeordnetenhaus beendete. Er drehte dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton in einem erbitterten Haushaltsstreit den Geldhahn ab und erzwang die kurzzeitige Schließung der US-Regierung. Mit einem Schlag sah er sich neben dem Präsidenten als einflussreichster Mann der USA.

„Gingrich dämonisiert jeden, der ihm im Weg ist“

Gingrich hatte Macht, doch populär war er nie. Selbst enge Parteifreunde beklagten sich immer wieder über den herablassenden Ton, mit dem der Ex-Universitätsprofessor seine Kollegen belehrte: „Er hält sich für schlauer, als alle anderen“, meint der frühere Republikaner-Abgeordnete Mickey Edwards. „Ein furchtbarer Mensch“, ergänzt Ex-Parlamentarier Joe Scarborough, der seinerzeit mit Gingrich im Kongress saß: „Er dämonisiert jeden, der ihm im Weg ist.“

Die eigene Hybris wurde für Gingrich schließlich zum Bumerang. Er verstrickte sich in eine Steuer- und Spendenaffäre, wurde vom Kongress als erster Abgeordnetenpräsident überhaupt öffentlich gerügt und zu einer Geldstrafe von 300 000 Dollar verurteilt. Als die Republikaner bei den Kongresswahlen 1998 fünf Sitze verloren, musste ihr Anführer seinen Hut nehmen. Seitdem schreibt er Bücher, dreht Dokumentarfilme und stand bis zu seiner Kandidatur als Kommentator beim konservativen TV-Nachrichtenkanal Fox News unter Vertrag.

Obama liegt in Umfragen vor Gingrich

Auch bei Amerikas Wählern ist Newt Gingrich nicht gerade populär. Nur 17 Prozent haben eine gute Meinung von ihm, sechs von zehn Amerikanern lehnen ihn dagegen als politische Führungsfigur ab. Bei Präsidentschaftswahlen würde er Obama mit 39 zu 50 Prozent unterliegen. Für Obamas Wahlkampfstrategen wäre Gingrich damit ein „Traumgegner“, der leicht zu besiegen ist. Viele Republikaner dagegen betrachten ihn eher als Albtraum.

„Gingrich kann nur bei den Fundamentalisten an der Parteibasis punkten, jedoch weder bei gemäßigten Republikanern, noch bei unabhängigen Wählern in der Mitte“, meint etwa Steve Schmidt, der vor vier Jahren Wahlkampfmanager des Kandidaten-Duos John McCain und Sarah Palin war: „Damit ist er als Präsidentschaftskandidat völlig ungeeignet.“

Gingrich hat bereits Florida im Visier
Gingrich lässt sich durch die Warnungen aus eigenen Reihen nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Er mobilisiert seine Anhänger bereits für die nächsten Vorwahlen am 31. Januar in Florida „Ich brauche jetzt jede einzelne Stimme“, appelliert er, „und ich brauche sie in jedem einzelnen Staat.“

Republikaner-Stratege Schmidt schwant bereits Übles: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Republikaner-Führung zum offenen Krieg gegen Newt Gingrich bläst. Und wenn er auch noch in Florida gewinnen sollte, wird sie wahrscheinlich in helle Panik verfallen.“