Sonntag, 22. Januar 2012

Gingrich zwingt Romney in den Zweikampf

Gingrich zwingt Romney in den Zweikampf



Es ist ein Triumph für Newt Gingrich: Er gewinnt die republikanischen Vorwahlen in South Carolina, lässt Favorit Romney mehr als 12 Prozentpunkte hinter sich. Plötzlich ist das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur völlig offen. Es könnte ein langer Zweikampf werden.


Beinahe kommt es in allerletzter Minute noch zum ungeplanten Showdown. Zum potentiellen Zusammenstoß, auf unsicherem Terrain, fernab der TV-Studios und Debattenhallen.

Dieses Territorium ist "Tommy's Country Ham House", ein Coffeeshop in Greenville, South Carolina. Kein Kandidat kommt daran vorbei, der Laden ist ein Wallfahrtsort für Wahlkämpfer. "Der Weg ins Weiße Haus", weiß die Lokalpostille "Taylors-Wade Hampton Patch", "führt durchs Ham House." Das wissen auch Newt Gingrich und Mitt Romney. Also sorgen sie dafür, dass sie "Tommy's" am Samstag schnell noch besuchen, Stunden nur vor Schließung der Wahllokale.


Dummerweise haben ihre Vorhuttruppen dafür die identische Uhrzeit avisiert: 10.45 Uhr.

Und so drängen sich bei "Tommy's" Hunderte Anhänger beider Seiten und scheinbar ebenso viele Reporter, in froher Erwartung eines Eklats zwischen den Rivalen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur. "We want Mitt!", skandieren die einen. "Newt! Newt!", brüllen die anderen. High Noon im Ham House.

Wo ist Mitt?

Doch Romney macht einen Rückzieher. Er erscheint schon um 10 Uhr, hält eine fahrige Rede ohne Mikrofon, die keiner hören kann, und verschwindet dann schnell wieder, um Gingrich ja nicht über den Weg zu laufen. Der kommt um Punkt 10.45 Uhr, schnappt sich das Mikrofon und fragt frech: "Wo ist Mitt?" Wo ist Mitt? Diese Frage stellen sich bald auch noch andere. Die Szene im Ham House ist nicht nur bezeichnend für diese Vorwahl, bei der in den letzten Tagen nichts lief, wie es eigentlich laufen sollte. Sie ist vor allem auch ein Omen für das Ergebnis am Samstagabend.

Als die Wahllokale schließen, brauchen die TV-Networks nur Sekunden, um den Ex-Sprecher des US-Repräsentantenhauses zum Gewinner der Vorwahl von South Carolina auszurufen. Nichts ist unmöglich: Der Bibelstaat erhebt den seitenspringenden, doppelt geschiedenen, demagogischen Rebell Gingrich zum Sieger über den aalglatten Multi-Millionär Romney. Je länger die Nacht dauert, desto klarer wird das. Am Ende hängt Gingrich den Rivalen mit rund 40 zu 28 Prozent ab - ein vernichtender Schlag der Rechtsaußen-Basis gegen die Romney-treue Parteispitze.


Langer Weg statt Durchmarsch

Drei Staaten, drei Sieger: Rick Santorum (Iowa), Mitt Romney (New Hampshire), Newt Gingrich (South Carolina). Plötzlich ist wieder alles offen. Dabei sollte es ein Durchmarsch für Romney werden, so hatten es sich zumindest dessen Strategen erhofft. Den Kontrahenten sollte noch vor Florida - Vorwahl am 31. Januar - die Puste ausgehen. Daraus ist nichts geworden. "Wir haben einen laaaangen Weg vor uns", sagt nun ein reichlich zerknitterter Romney.

Gingrich dagegen: im Rampenlicht. Ein Mann, der im Sommer schon abgeschrieben schien, dessen Wahlkampfteam implodierte. Der sich im Herbst zurückarbeitete, bis an die Spitze. Und kurz vor dem Iowa-Caucus erneut zerlegt wurde - unter anderem durch die Kampagne eines Romney ergebenen "Super-PAC's", einer mächtigen Spendergruppe.

Doch in South Carolina haben die Basis-Fundamentalisten dem Partei-Establishment eine schallende Ohrfeige verpasst: Sie wollen Romney nicht. Was sie wollen, ist einer, der auf den Putz haut, poltert - und Rechtsaußen nicht scheut. Wie Gingrich denn vorhabe, "Obama die Nase blutig zu schlagen", erkundigte sich ein Wähler am Mittwoch beim Kandidaten. "Ich will nicht seine Nase blutig schlagen", antwortete Gingrich, ohne die Miene zu verziehen. "Ich will ihn K.o. schlagen."

Gingrich spricht niedere Instinkte an. Er keilt gegen Medien, wenn kritische Fragen gestellt werden, und gegen die "Eliten in Washington und New York". Er dämonisiert Arme. Er flirtet mit Rassismus. Er sendet Codewörter nach rechts. Schwarze sollten sich um Jobs kümmern statt um Essensmarken, sagt er. Darin steckt untergründig viel, das er gar nicht erst aussprechen muss - und das die Vorurteile so vieler Weißer bestätigt.

"Jetzt ziehen wir nach Florida"

"Ich artikuliere", triumphiert er in seiner Siegesrede am Samstagabend, "die tiefsten Werte des amerikanischen Volks." MSNBC-Moderator Chris Matthews sagt: "Er trifft alle erogenen Zonen." Gingrich ist die Sarah Palin von 2012 - nur zungenfertiger und belesener. Sein Publikum reagiert genauso, wie auch Palins Publikum reagierte, bis hin zu den patriotischen Sprechchören: "USA! USA! USA!" Das ist die Stimmung bei Gingrichs Anhängern am Samstagabend, in einem Hotel-Ballsaal in South Carolinas Hauptstadt Columbia.

"Dies ist der wichtigste Wahlkampf zu unseren Lebzeiten", deklamiert Gingrich, ein alle vier Jahre beliebter Mobilisierungsslogan, mit dem auch Palin 2008 die Massen aufpeitschte. "Jetzt ziehen wir nach Florida - und darüber hinaus." Dieses Szenario wollte Mitt Romney vermeiden. Unbedingt. Trotzdem muss er sich an diesem Abend auf seiner Wahlparty mühen, wie ein Sieger zu reden. Eine "großartige Nacht" sei das, sagt er, "danke, vielen Dank". Seine Worte suchen die bitterböse Schlappe zu verdecken, doch in seinem Gesicht zeichnet sie sich unbarmherzig ab: Tiefe Augenringe, aufgesetztes Lächeln. Seine Leute animieren die Anhänger jetzt zu einer La-Ola-Welle.

Es ist ein tiefer Fall. Vor wenigen Tagen noch lag der als moderat geltende Ex-Massachusetts-Gouverneur zweistellig vor Gingrich. Jetzt ist es genau umgekehrt. Romney ist daran nicht unschuldig. Bei zwei TV-Debatten in South Carolina ist er aus der Spur geraten. Er verhedderte sich in der Diskussion um seine Einkommensverhältnisse, die er erst im April offenlegen will; er geriet zunehmend in die Defensive wegen seiner Vergangenheit bei der Investmentfirma Bain Capital. Gingrich ist es, der Romney in dieser Sache seit zwei Wochen vor sich hertreibt. Und Romney lässt sich treiben.

Romney knöpft sich Gingrich vor

Die Quittung hat er jetzt bekommen. Wie groß der Ärger des einst so siegessicheren Mannes ist, zeigt sich, nachdem er seine Niederlage in dem Südstaat eingestanden hat. Romney knöpft sich Gingrich vor. Er tut das, indem er ihn auf eine Stufe mit Präsident Obama stellt - die Höchststrafe für Republikaner.

Obama habe weder Erfahrung in der Geschäftswelt noch in einem US-Staat, sagt also Romney, der Geschäftsmann und Ex-Gouverneur. "Und unsere Partei kann nicht zum Sieg geführt werden von einem, der ebenfalls keine Erfahrung hat in Business und Staat." Obama habe die Nation gespalten, führe einen Klassenkrieg und attackiere den freien Markt. "Wir können diesen Präsidenten nicht schlagen mit einem, der bei diesem Anschlag auf das freie Unternehmertum mitgewirkt hat." Das geht voll gegen Gingrich. Wer seinen Erfolg als Geschäftsmann attackiere, sagt Romney, der attackiere die Träume der Menschen auf eine bessere Zukunft.


Als Romney durch ist mit seiner Rede in Columbia, drehen sie bei Gingrich um die Ecke die Musik auf. "Another One Bites the Dust" von Queen schallt durch den stickigen Raum - zu Deutsch: Der nächste beißt ins Gras. Leicht denkbar, gegen wen wiederum das jetzt geht.


Jedenfalls nicht gegen Rick Santorum. Der Hardcore-Katholik, der sich mit Gingrich einen Kampf um die Stimmen der Konservativen in South Carolina geliefert hat und nun mit 17 Prozent vor Ron Paul gelandet ist, wird auf der Wahlparty des Siegers mit ausschließlich freundlichen Worten bedacht: Santorum habe "enorme Courage" gezeigt, lobt Gingrich. "VP! VP!", rufen da die Leute. VP steht für Vizepräsident, für ein Team Gingrich-Santorum gegen Obama und Vize Joe Biden. Soweit aber ist es noch lange nicht.

Klar ist seit Samstagabend nur: Die US-Vorwahlen haben sich zum Zweikampf gewandelt. Romney oder Gingrich - das ist jetzt die Frage. Santorum kann Gingrich die Rolle des Anti-Romney kaum mehr streitig machen. Einen Beleg dafür liefern in South Carolina ausgerechnet die Evangelikalen, deren über hundert diverse Anführer Santorum kurz vor der Wahl noch wärmstens empfohlen hatten. Gewirkt hat das nicht. Santorum holt in dieser Gruppe nur knapp 20, Gingrich aber gut 40 Prozent.