Donnerstag, 24. März 2011

Brüderle begründet AKW-Notstopp mit Wahlkampf

Brüderle begründet AKW-Notstopp mit Wahlkampf

Kanzlerin Merkel, Wirtschaftsminister Brüderle: "Entscheidungen nicht immer rational"
Angela Merkels Koalition muss wegen ihres AKW-Moratoriums heftige Kritik einstecken - nun auch das noch: Wirtschaftsminister Brüderle hat laut "Süddeutscher Zeitung" vor Spitzenmanagern unverblümt eingeräumt: Schwarz-Gelb nimmt die Meiler vor allem wegen der anstehenden Landtagswahlen vom Netz.

München - Den Eindruck, die dreimonatige Atom-Zwangspause hänge mit den anstehenden Landtagswahlen zusammen, wollte die schwarz-gelbe Koalition eigentlich vermeiden. Nun fährt ausgerechnet ein prominentes FDP-Kabinettsmitglied der Kanzlerin in die Parade: Rainer Brüderle, erklärter Freund der Kernkraft. Der Wirtschaftsminister hat nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ") vor einer Runde führender Wirtschaftsvertreter das Kernkraft-Moratorium mit den anstehenden Landtagswahlen begründet. Der Minister hatte vor etwa 40 Mitgliedern des Bundesverbands der Deutschen Industrie über die AKW-Pause gesprochen. Das Protokoll des Treffens liegt der "SZ" nach eigenen Angaben vor.

Brüderle hat demnach am 14. März als Gast an einer Sitzung von Vorstand und Präsidium teilgenommen, bei der Dutzende Manager aus Deutschlands Industrie zugegen waren - darunter die Vorstandschefs der Energiekonzerne RWE und Eon, Jürgen Großmann und Johannes Teyssen. Beide Konzerne betreiben Atomkraftwerke.


Während der Sitzung sei die Meldung hereingereicht worden, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima die Laufzeiten für deutsche Atommeiler per Moratorium aussetzen wolle. Schwarz-Gelb hatte die Laufzeiten für die 17 AKW in Deutschland erst im Herbst 2010 verlängert.

Der BDI-Präsident habe daraufhin von Minister Brüderle wissen wollen, was es damit auf sich habe. Laut Sitzungsprotokoll bestätigte Brüderle das Moratorium - und wies anschließend darauf hin, "dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien", schreibt die "SZ".

Laut Protokoll habe Brüderle betont, ein Befürworter der Kernenergie zu sein, auch mit Rücksicht auf Branchen, die besonders viel Energie verbrauchten. Es könne daher keinen Weg geben, der diese Branchen "in ihrer Existenz gefährde". Im Wirtschaftsministerium habe es zu Brüderles Aussagen geheißen, der Minister habe vor allem mit dem Tempo der Kehrtwende Probleme gehabt, berichtet die "SZ" weiter.

Schicksalswahl im Südwesten

Anscheinend kommt das von der Kanzlerin verhängte Moratorium beim Wahlvolk ohnehin nicht sonderlich glaubwürdig herüber. Merkel und die von ihr geführte Union müssen kurz vor dem wichtigen Wahlsonntag am 27. März deutliche Einbußen in Umfragen verkraften. Im Forsa-Wahltrend des "Stern" liegen Rot-Grün bundesweit mit 45 Prozent 7 Punkte vor Schwarz-Gelb (38 Prozent).

Die Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland hatte wegen der Reaktor-Katastrophe in Japan Aufwind bekommen: In den vergangenen Wochen waren Zehntausende Menschen gegen die Nutzung von Kernkraft auf die Straße gegangen. Zu neuen Demonstrationen gegen die schwarz-gelbe Atompolitik werden am Samstag in Berlin, Hamburg, München und Köln rund 100.000 Menschen erwartet.

"Merkel klar beschädigt"

Forsa-Chef Manfred Güllner sagte, der Union habe das Atom-Moratorium klar geschadet. Deren Stammwähler, die eher zu den Atom-Befürwortern zählten, seien über die abrupte Kehrtwende irritiert. "Sie sagen, in Deutschland habe sich doch nichts geändert." Auch Merkels Image hat gelitten. Nur noch jeder Zweite schätze sie als glaubwürdig ein - vor anderthalb Jahren waren es noch 68 Prozent.

Fast drei Viertel (71 Prozent) der Befragten halten den Meinungsforschern zufolge das dreimonatige Abschalten der sieben ältesten deutschen Atommeiler für reine Wahltaktik. Das Bekanntwerden von Brüderles Haltung vor dem BDI könnte diesen Eindruck beim Wähler nun noch verstärken.


In der Union herrscht über die Frage der Laufzeiten keineswegs Einigkeit. Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) zum Beispiel will die sieben Meiler endgültig aus dem Verkehr ziehen. "Es würde uns als politisches Signal gut tun, wenn die älteren Reaktoren nicht wieder ans Netz gehen", sagte er dem "Stern". Unterstützung erhielt Söder vom saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU), der von einer Zäsur sprach.

Merkel bekräftigte am Mittwoch ihre Devise vom "Ausstieg mit Augenmaß". "Furcht ist kein guter Ratgeber", sagte die Kanzlerin bei einer Wahlkampfveranstaltung. Es müsse darauf geachtet werden, dass Strom in Deutschland bezahlbar bleibe und dass keine Arbeitsplätze verloren gingen.