Montag, 28. März 2011

Zukunft der Energie

Zukunft der Energie

Schneller als gedacht soll Deutschland seinen Energiebedarf ohne Atomkraft decken. So ist es politisch gewollt, doch ist es auch technisch möglich?

Die EU importiert etwa die Hälfte der benötigten Energie – Tendenz steigend


Jetzt also soll alles ganz schnell gehen. Kaum waren nach dem Tsunami in Japan über dem Atomkraftwerk Fukushima radioaktive Wolken aufgestiegen, begann in Deutschland die Debatte über die Kernkraft neu, und ruckzuck beschloss die Bundesregierung, die sieben ältesten Atomkraftwerke (AKW) zumindest vorübergehend abzuschalten. Die Reaktoren Biblis A, Neckarwestheim 1 und Isar 1 sollen endgültig vom Netz gehen, möglicherweise auch die norddeutschen Meiler Brunsbüttel und Krümmel. Dazu kommt die Laufzeitverlängerung für die AKW auf den Prüfstand. Sie wurde im Rahmen des neuen Energiekonzepts der Bundesregierung gerade vor einem halben Jahr beschlossen und sah eine Verlängerung der AKW-Betriebszeit von bis zu 14 Jahren vor. Damit würden die letzten Meiler erst 2040 stillgelegt.

Ausstieg jetzt!
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle nannte das Energiekonzept eine „epochale Leistung“, und Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, die Atomkraft als Brückentechnologie, die hin zur Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien führen solle, sei „verantwortbar und vertretbar“. Doch seit der Katastrophe in Japan ist es, um im Bild zu bleiben, die wohl kürzeste Brücke der Welt. Das Energiekonzept ist Makulatur, denn nun überbieten sich Politiker und Parteien mit Forderungen nach einem früheren Ende der Atomkraft. Möglicherweise setzen sie die 2001 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung mit der Atomwirtschaft getroffene Ausstiegsvereinbarung wieder in Kraft, die das Abschalten des letzten Reaktors für 2021 vorsah. Darüber sollen nun zwei Arbeitskreise befinden, darunter eine unter anderem mit zwei Bischöfen besetzte Ethik-Kommission (warum fällt den Regierenden die Frage nach einer ethischen Vertretbarkeit der Kernkraft eigentlich erst jetzt ein, rund 40 Jahre nach dem Beginn des Atomzeitalters, wenn nicht aus taktischen Gründen? Denn der AKW-Weiterbetrieb ist ein technisches und kein theologisches Problem). Die Grünen gehen noch weiter: Sie streben den Ausstieg bereits für 2017 an – sofern die erneuerbaren Energien bis dahin ausreichend Strom liefern.

Das aber ist die für den Umbau des Energiesystems entscheidende Frage. Das Ziel, bis etwa 2050 vollständig auf erneuerbare Quellen umzusteigen, ist zwar Konsens. Die wie sich der Strommix bis dahin gestaltet, ist heftig umstritten. Im vergangenen Jahr betrug die deutsche Bruttostromerzeugung nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen 621 Terawattstunden (TWh; 1 TWh = 1 Milliarde Kilowattstunden). Die AKW steuerten 140,5 TWh bei, das entspricht einem Anteil von knapp 23 Prozent. Wie lässt sich diese Menge ersetzen, ohne dass die Lichter ausgehen? Schon warnen Strombosse, das Abschalten gerade der süddeutschen Meiler gefährde die Netzstabilität, weil die Kapazitäten im Süden wegfallen, doch Leitungen fehlen, die den im Norden produzierten Windstrom dorthin transportieren.

Der Umbau des Energiesystems

Würden in Deutschland aber nicht ausreichend neue Kohlekraftwerke gebaut, gebe es bald eine Stromlücke, barmte die Deutsche Energie-Agentur Dena bereits 2008. Ab 2015 soll sie etwa 2800 Megawatt betragen, das entspricht drei bis vier Großkraftwerken. Bis 2020 soll sie auf etwa 12 000 Megawatt anwachsen. Andere Experten widersprachen. Die Umweltorganisation Greenpeace etwa erklärte anhand einer eigenen Studie, die von der Dena prognostizierte Stromlücke sei ein Märchen. Schon heute gebe es im deutschen Kraftwerkspark erhebliche Überkapazitäten, zudem habe die Dena nicht die zu erwartenden Effizienzsteigerungen bei der Stromnutzung berücksichtigt.

Die Debatte zeigt, welche Auseinandersetzungen über den Umbau des Energiesystems uns jetzt bevorstehen. Die Hauptrolle werden so oder so aber die erneuerbaren Energien spielen. Heute liefern sie 102,3 TWh, was einem Anteil von 16,5 Prozent an der deutschen Stromerzeugung entspricht. Bis zur Jahrhundertmitte sollen sie aber die Vollversorgung übernehmen. Bis dahin könnte der Strombedarf einer Studie des Umweltbundesamts (UBA) vom Juli 2010 zufolge durch Einsparmaßnahmen und Effizienzsteigerungen, aber auch, weil die deutsche Bevölkerung bis 2050 voraussichtlich um zehn Millionen Einwohner abnimmt, auf knapp 469 TWh sinken. Das technisch machbare wie ökologisch vertretbare Potenzial aller erneuerbaren Energiequellen – also Solar- und Windkraft, Biomasse sowie Geothermie – beträgt laut UBA aber 705 TWh. Der Bedarf sollte sich folglich leicht decken lassen. „Eine vollständig auf erneuerbaren Energien beruhende Stromerzeugung im Jahr 2050 ist in Deutschland als hoch entwickeltes Industrieland mit heutigem Lebensstil, Konsum und Verhaltensmuster technisch möglich“, versichern die Autoren.

Hoffnung aus der Erdkruste
Neben der UBA-Studie zeigen noch andere Analysen auf, wie eine Vollversorgung aus regenerativen Quellen bis 2050 gelingen könnte. Ein mögliches Szenario entwickelt Greenpeace iEin Energieträger, der in jüngster Zeit in den Vordergrund trat, dürfte die Chancen für eine solche Entwicklung deutlich erhöhen: das so genannte Schiefergas. Global ruhen schätzungsweise 456 Billionen Kubikmeter davon in der Erde, gegenüber 187 Billionen Kubikmeter an konventionellem Erdgas. Diese Zahlen nennt der in London ansässige Weltenergierat. Über 60 Prozent der Lagerstätten liegen in den USA und Russland. Doch rund über fünf Prozent der Weltreserven, was knapp 23 Billionen Kubikmetern entspricht, verfügt Europa. Das unkonventionelle Gas entsteht hauptsächlich in Schiefergestein und lagert in besonders kleinporigen Schichten. Erst seit kurzen gibt es die Techniken, es aus dem Boden zu holen. In Polen, Schweden und Deutschland hat die Exploration bereits begonnen. In den USA wuchs die geförderte Menge innerhalb weniger Jahre so stark, dass das Land vom Erdgasimporteur zum -exporteur wurden. Es dient zunehmend auch als Treibstoff für Autos. Zudem ergänzen sich Wind- und Solarkraftwerke mit Schiefergas-Turbinen bestens, denn diese lassen sich schnell hoch- und herunterfahren und können so die schwankende Stromproduktion aus Wind und Sonne gut kompensieren.
Dies ist aus heutiger Sicht das Hauptproblem der Solar- und Windkraft, die als wichtigste Säulen der künftigen Energieversorgung gelten. Bei Nacht und Flaute gehen ihre Erträge teilweise gegen null. Dann müssen konventionelle Reservekraftwerke zugeschaltet werden. Weht aber an sonnigen Tagen eine kräftige Brise, liefern Solar- und Windparks oft mehr Strom, als aktuell gebraucht wird. An manchen Herbsttagen erzeugen allein die Windgeneratoren mehr Strom als sämtliche AKW. Weil diese aber nicht beliebig herunter- und wieder heraus werden können, regeln die Stromversorger stattdessen die Windräder ab. Auch die Einspeisung aus Solarmodulen übersteigt an langen Sonnentagen häufig den aktuellen Strombedarf im Netz. So lässt sich die künftige Stromversorgung natürlich nicht gestalten.


Drei mögliche Szenarien

Neben Erzeugung von Ökostrom, Entwicklung von modernen Speichertechnologien nebst einer gewaltigen Steigerung der Energieeffizienz muss außerdem die Lenkung des Verbrauchs treten, um die Lastkurven zu glätten und so Spitzen zu vermeiden. Dazu entwickeln Forschungsinstitute und Energieunternehmen das „intelligente Netz“. Es ist ein Internet der Energie, das alle Systemkomponenten vernetzen soll – Erzeuger, Verbraucher, Speicher und das Stromnetz.

Die Technologien, die für eine Vollversorgung aus erneuerbaren Quellen unabdingbar sind, reifen also heran. Die Struktur der künftigen Energieversorgung ist indes noch unklar. In seiner Studie beleuchtet das UBA drei Szenarien, die miteinander im Wettbewerb stehen. Das erste ist das des Regionenverbunds: Alle deutschen Regionen nutzen ihre Potentiale der erneuerbaren Energien weitgehend aus. Strom wird bundesweit ausgetauscht und nur zu einem geringen Anteil aus Nachbarstaaten importiert.

Das zweite Szenario nennt das UBA „International-Großtechnik“: Die Stromversorgung Deutschlands und Europas kommt aus großen, europaweit verteilten Stromerzeugungsanlagen auf Basis der erneuerbaren Energien in einem interkontinentalen Stromverbund. Ein Großteil des deutschen Stroms wird aus Nachbarstaaten importiert. Dazu dient das von der EU verfolgte Konzept eines Verbundes, der neben europäischen Ländern auch Regionen in Nordafrika und Nahost umfasst. Als erste Stufe dieses „Supernetzes“ planen neun Anrainerstaaten – Benelux, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Norwegen – ein Netz aus Hochspannungs-Unterseekabeln in der Nordsee. Es soll Windparks auf hoher See mit Wasserkraftwerken in Norwegen, Gezeitenkraftwerken an der belgischen und dänischen Küste sowie Wind- und Solaranlagen auf dem europäischen Festland verbinden. Später ließe es sich noch um jenen Verbund ergänzen, den die Industrieinitiative „Desertec“ plant. In den Wüsten Nordafrikas sowie in Nahoststaaten sollen solarthermische Kraftwerke und an Küstenstandorten große Windräder entstehen, die bis 2050 rund 15 Prozent des in Europa benötigten Stroms liefern.
Lücke im Süden
Diesen von der Stromwirtschaft wegen ihrer zentralen Strukturen wohl bevorzugten Szenarien steht das dritte Szenario „Lokal-Autark“ gegenüber. Darin werden Klein-Blockheizkraftwerke in den Kellern von Wohnhäusern, Solaranlagen auf den Dächern, lokale und regionale Windgeneratoren sowie kleine, mit Biogas befeuerte Regelkraftwerke zu Netzen verbunden, die einzelne Gemeinden oder Stadtviertel versorgen. Wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft jüngst errechnete, kostet der Bau der dafür erforderlichen 380 000 Kilometer zusätzlicher Leitungen in den Verteilnetzen 27 Milliarden Euro. Doch auch für die anderen Szenarien werden viele neue Stromtrassen gebraucht. So kommt die „Netzstudie II“ der Dena zu dem Ergebnis, dass bis 2020 für 9,7 Milliarden Euro 380-Kilovolt-Leitungen von 3600 Kilometer Gesamtlänge neu gebaut werden müssten. Sie sollen insbesondere den Windstrom, der von Offshore-Anlagen in Nord- und Ostsee erzeugt wird, zu den Verbrauchern im Süden bringen.



 Steigende Kosten, sich wandelnde Landschaften


 Für diese letzte Variante stritt insbesondere der unlängst verstorbene SPD-Politiker und Solarvorkämpfer Hermann Scheer. Durch den Übergang vom konventionellen Energiesystems zu den Erneuerbaren sei „ein Konflikt vorprogrammiert, der in der modernen Energieversorgung einmalig ist“. schrieb er in seinem Buch „Der energethische Imperativ“. Wohl wahr. Denn der Umbau wird nicht nur das Energiesystem, sondern auch unser Land in nie dagewesener Weise transformieren. Solarparks werden in steigender Zahl auf Freiflächen glänzen, Dächer und Fassaden sind von Sonnenzellen bedeckt, in Tälern werden Speicherseen angelegt, und Windrotoren drehen sich an allen geeigneten Standorten an Land und auf See.

Teures Bier
Weil auch Biogas ein tragender Bestandteil des Energiemix der Zukunft ist, bedecken riesige Monokulturen von Energiepflanzen die Felder. Ihr Anbau, fürchten Experten, gehe zu Lasten von Nutzpflanzen, deshalb drohen deftige Preiserhöhungen bei Lebensmitteln. Beim Bier ist dies bereits eingetreten. Nach Angaben des Verbands der Privaten Brauereien Bayerns stieg der Preis von aus Gerste hergestelltem Braumalz 2010 um 50 Prozent, weil der subventionierte Anbau von Mais für Biogasanlagen zu Lasten der Gersteflächen den Bauern mehr Geld einbringt. Natur- und Landschaftsschützer laufen schon heute gegen solche Entwicklungen Sturm. Es ist aber der Preis für den schnellen Ausstieg aus der Kernkraft und Kohleverstromung, den wir zahlen und letztendlich auch akzeptieren müssen.