Dienstag, 22. März 2011

Darf ich jetzt noch Sushi essen?

Darf ich jetzt noch Sushi essen?

Fischhändler in Tokio: Achtung bei der Endziffer 61
Soja-Soße, Grüntee, Sushi: Deutsche Verbraucher lieben japanisches Essen. Doch nach dem Atomunglück von Fukushima ist die Verunsicherung groß. Wovor muss man wirklich Angst haben - und was ist unbedenklich?

Hamburg - So schnell kann es gehen: Noch vor wenigen Wochen wähnte sich die deutsche Fischindustrie auf der Gewinnerseite. Damals machte der Dioxin-Skandal den Verbrauchern Angst vor Eiern und Fleisch. "Da haben plötzlich alle Fisch gegessen", sagt Matthias Keller vom Bundesverband der deutschen Fischindustrie und des Fischgroßhandels.

Nun aber sind es nicht mehr Fleischproduzenten oder Hühnerbauern, die skeptische Fragen gestellt bekommen - sondern Fischhändler. Schließlich liegt das japanische Unglückskraftwerk Fukushima direkt am Meer. Der Bundesverband Fischindustrie hat deshalb in der vergangenen Woche angekündigt, seine Eigenkontrollen zu verschärfen. "Wir haben veranlasst, dass bereits bei der Anladung Proben gezogen und analysiert werden", sagt Keller. Sollten sich in einer Region erhöhte Strahlenwerte zeigen, würden in Deutschland weitere Untersuchungen folgen.



Mag Fukushima rund 9000 Kilometer entfernt sein: Die Deutschen sind beunruhigt, das merkt auch Silke Schwartau. Die Ernährungsexpertin bei der Hamburger Verbraucherzentrale bekommt zurzeit zahlreiche Anfragen besorgter Bürger. "Am meisten fragen sie nach Grünem Tee, weil dort die Ernte bevorsteht", berichtet Schwartau. Auf die Frage, ob man sich hierzulande Sorgen machen müsse, hat sie eine klare Antwort: "Kurzfristig kann man Entwarnung geben, langfristig auf keinen Fall."

Drei Fakten sprechen dafür, dass das Unglück vorerst kaum Folgen für deutsche Konsumenten haben wird. Zunächst exportiert Japan generell nur wenig Lebensmittel. So kamen 2010 laut Verbraucherschutzministerium nur 60 von insgesamt 913.000 Tonnen importierten Fisches aus Japan. Insgesamt hat das Land nur einen Anteil von 0,1 Prozent an den deutschen Lebensmitteleinfuhren.

Sojasoße ist noch ein Jahr unbedenklich

Zum zweiten können möglicherweise belastete Produkte in dem meisten Fällen noch gar nicht nach Deutschland gelangt sein. So wird der Seelachs, der in der Meeresregion um Japan gefangen wird, zunächst an Bord zu sogenannten Filetblöcken verarbeitet und erst nach rund einem Monat an Land gebracht. "Fisch aus dieser Meeresregion wird frühestens in drei Monaten in den Handel gelangen", sagt Keller. Zeitliche Gründe sprechen vorerst auch gegen eine Belastung von Gewürzsoßen, die mit einer jährlichen Einfuhrmenge von gut 1500 Tonnen der wichtigste Import nach Deutschland sind. "Sojasoße reift in Fässern, sie ist noch mindestens ein Jahr lang unbedenklich", beruhigt Schwartau.

Gegen allzu große Sorgen spricht noch ein dritter Umstand: Selbst typisch japanische Lebensmittel stammen in vielen Fällen gar nicht aus dem Land. In Deutschland gekaufte Shiitake-Pilze etwa kommen fast ausschließlich aus deutschen Gewächshäusern, in Deutschland serviertes Sushi fast nie aus dem Nordpazifik. Fische aus dieser Meeresregion um Japan können Verbraucher im Supermarkt erkennen: Sie sind auf der Packung durch eine Nummer der Welternährungsorganisation (FAO) mit der Endziffer 61 gekennzeichnet.

Was aber gilt für Fische, die tatsächlich aus der Umgebung von Japan kommen - und erst nach dem Reaktorunglück gefangen wurden? Bei dieser Frage gehen die Meinungen auseinander. "Wir gehen immer noch davon aus, dass es bei Fisch keine Belastung geben wird", sagt Ulrich Rieth vom Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut, das in Deutschland die Radioaktivität von Fischen überwacht.

Rieth verweist auf die berüchtigte irische Atomanlage Sellafield, wo über rund 20 Jahre radioaktiv belastetes Spülwasser ins Meer geleitet wurde. Dennoch seien bei Fischen aus der Region nur Werte von maximal zehn Bequerel pro Kilogramm gemessen worden - in Deutschland gilt bei Lebensmitteln generell ein Limit von 600 Becquerel. "Da bestehen keinerlei Bedenken", sagt Rieth. "Gleiches würde ich auch für Japan erwarten."

Damals Wildschweine, heute Raubfische?

Doch es gibt auch andere Stimmen. "Nie wieder Sushi", sagte der Strahlenbiologe Edmund Lengfelder der "Frankfurter Rundschau". Seiner Ansicht nach könnte der Verzehr von Fisch aus Japan künftig nur noch nach aufwändigen Kontrollen vertretbar sein. Lengfelder bezieht sich auf die Erfahrungen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986, deren krebskranke Opfer er bis heute betreut. Die Folgen des radioaktiven Fallouts lassen sich noch heute in belasteten Pilzen nachweisen, die etwa in Bayern an der Grenze zu Tschechien wachsen. Die Belastung wird an Wildtiere weitergeben, die aus dem Pilz Cäsium 137 aufnehmen. Als in Baden-Württemberg vor drei Jahren 240 erlegte Wildschweine untersucht wurden, war fast ein Fünftel von ihnen mit mehr als 600 Becquerel pro Kilogramm belastet.

Eine ähnliche Weitergabe von Strahlung fürchtet Verbraucherschützerin Schwartau nun auch im Meer. "Wir wissen, dass sich die Strahlung in der Nahrungskette anreichert. Raubfische haben deshalb eine höhere Belastung." Bislang mangele es aber an Daten aus Japan, um die Bedenken zu überprüfen. "Es gibt sehr wenig Informationen."


Positiver bewertet Schwartau, dass Industrievertreter diesmal von sich aus auf verstärkte Kontrollen und Information der Kunden setzen. So informiert etwa der Teegroßhändler Gschwender seine Kunden im Internet, dass der derzeit verkaufte Grüntee noch aus der Ernte 2010 stamme. Mit Blick auf die anstehende Ernte heißt es offen, man könne "zurzeit noch nicht abschätzen", ob die eigenen Anbaugebiete betroffen seien.


"Das ist anders als nach Tschernobyl", sagt Schwartau über die Informationspolitik. Auch Wissenschaftler Rieth glaubt, dass die Warnsysteme in Deutschland heute wesentlich besser funktionieren. "Damals war völliges Chaos. Keiner wusste, wie die Werte vorher waren."

Deutsche Fisch-Esser könnte noch ein weiterer Umstand beruhigen: Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters sind die Materialschäden durch den Tsunami so schwer, dass japanische Fischer manche Sorten für mindestens ein Jahr überhaupt nicht mehr liefern können.