Donnerstag, 24. März 2011

Opposition feiert Brüderles Wahlkampfpatzer

Opposition feiert Brüderles Wahlkampfpatzer


Wirtschaftsminister Brüderle: "Uns Wahlkampfmanöver vorzuwerfen, ist absurd"
 Peinlicher Patzer oder Protokollfehler? Der Opposition ist es egal: Für SPD, Grüne und Linke ist Rainer Brüderles vermeintliche Wahlkampf-Beichte zur Atomwende eine Steilvorlage. Sie attackieren den Wirtschaftsminister scharf - und auch in der Union wird Unmut über den FDP-Mann laut.



Berlin/Hamburg - Da mag der Wirtschaftsminister noch so inständig dementieren - für die Opposition ist nach der Protokoll-Affäre von Rainer Brüderle die Sache klar: Die Koalition hat sich aus Sicht von SPD, Grünen und Linken in der Atomfrage endgültig als unglaubwürdig erwiesen. Entsprechend hart attackieren Spitzenvertreter der Parteien die schwarz-gelbe Regierung. Und selbst aus der Union gibt es inzwischen Kritik.


Brüderle hatte laut dem SPIEGEL ONLINE vorliegenden Protokoll (siehe unten) des Treffens am 14. März gegenüber Wirtschaftsvertretern deutlich gemacht, das Atom-Moratorium der Koalition sei wahltaktisch motiviert. Der FDP-Politiker wies die Vorwürfe am Donnerstag im Bundestag zurück. Die Sicherheit der Kernkraftwerke habe für die schwarz-gelbe Regierung absolute Priorität. "Uns Wahlkampfmanöver vorzuwerfen, ist absurd", sagte er. Der Bundesverband der Industrie (BDI), vor dessen Führungsmitgliedern sich Brüderle vor zehn Tagen geäußert hatte, spricht von einem Protokollfehler. BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf sagte: "Die Äußerung des Bundeswirtschaftsministers ist falsch wiedergegeben worden."


Das will die Opposition nicht gelten lassen. SPD-Chef Gabriel sagte SPIEGEL ONLINE: "Narrenmund tut Wahrheit kund." Brüderle bereite "Merkels 360-Grad-Atomwende vor. Er ist die letzte Hoffnung der deutschen Atomlobby", so Gabriel. "Die können einem fast leid tun", fügte er hinzu. Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, sagte: "Brüderle hat sich offensichtlich schlicht verplappert und wird zum Störfall für den Wahlkampf." Er fügte hinzu: "Nichts ist so schön wie die Wahrheit."

Grünen-Chef Özdemir: "Überforderter Wirtschaftsminister"

Auch die Grünen werfen der Koalition Unglaubwürdigkeit vor. Parteichef Cem Özdemir sagte SPIEGEL ONLINE: "Dem überforderten Wirtschaftsminister ist beim Gespräch mit seinen atomenergiebegeisterten Freunden vom BDI die Düse gegangen." Özdemir sagte weiter: "Es wäre auch erstaunlich gewesen, "wenn die vorgebliche 180-Grad-Kehrtwende von Schwarz-Gelb in der Atompolitik gleich konsensual und konzertant binnen einer Nacht, ohne jede parteiinterne Diskussion vonstatten gegangen wäre".

Linke-Chef Klaus Ernst forderte von Merkel Klartext, ob das Atom-Moratorium nur ein Wahlkampfmanöver ist. "Brüderle hat die Katze aus dem Sack gelassen. Das Atommoratorium war ein betrügerisches Wahlkampfmanöver von Schwarz-Gelb." Er sagte weiter: "Es gibt jetzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Merkel entlässt Brüderle, oder sie gibt ihm Rückendeckung und stellt sich als bekennende Betrügerin den Wählern."

Kritik an Brüderle äußerte auch ein Vertreter der Union. CSU-Umweltexperte Josef Göppel sagte: "Rainer Brüderle untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung." Er habe "große Sorge, dass damit am Sonntag noch viele Wähler gegen die CDU mobilisiert werden." Brüderles Dementi sei für ihn keine Entlastung, sagte Göppel. "Für mich war das keine Richtigstellung." Der Wirtschaftsminister sei "von seiner These nicht abgewichen, sondern hat nur gesagt, er sei falsch wiedergegeben worden".


In Regierungskreisen wird kaum daran gezweifelt, dass sich Brüderle sinngemäß so geäußert haben könnte. Der SPIEGEL hatte bereits darüber berichtet, dass er die Atomreaktion der Deutschen für hysterisch hält.


Auch in der Bundestagsdebatte am Donnerstag war die Protokoll-Affäre von Brüderle Thema. Vertreter der Opposition griffen den Wirtschaftsminister und die schwarz-gelbe Koalition scharf an.

In Umfragen hat das Atom-Moratorium Schwarz-Gelb bisher nicht genutzt. Vor der Landtagswahl am Sonntag in Baden-Württemberg kommen Grüne und SPD in einer neuen Umfrage auf 48 Prozent und liegen damit deutlich vor Union und FDP. Nach der am Donnerstag veröffentlichten Umfrage für "stern.de" und RTL erreichen die Grünen und die SPD jeweils 24 Prozent. Die CDU (38 Prozent) und die FDP (5 Prozent) erreichen zusammen nur 43 Prozent.