Donnerstag, 24. März 2011

Portugals Regierungskrise alarmiert die EU

Portugals Regierungskrise alarmiert die EU

Ende einer Amtszeit: Portugals Premier Sócrates gibt seinen Rücktritt bekannt
Der Rücktritt von Ministerpräsident Sócrates bringt Portugal in eine schwere Regierungskrise. Das Land wird seine finanziellen Probleme kaum noch ohne ausländische Hilfe lösen können. Nun ist die Europäischen Union am Zug, der Brüsseler Gipfel soll Klarheit bringen.

Der Rücktritt von Ministerpräsident Sócrates bringt Portugal in eine schwere Regierungskrise. Das Land wird seine finanziellen Probleme kaum noch ohne ausländische Hilfe lösen können. Nun ist die Europäischen Union am Zug, der Brüsseler Gipfel soll Klarheit bringen.

Hamburg - Am Morgen nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten steht Lissabon still. Die U-Bahnen fahren nicht, die Mitarbeiter streiken. Über das weiße Kopfsteinpflaster hasten die Pendler zu Bussen. Sie nehmen es hin: Ein Streik gegen die Sparpläne der Regierung, das ist nichts Neues. Nur - diese Regierung gibt es jetzt nicht mehr.

Sie ist über das vierte Sparpaket innerhalb von zwölf Monaten gestolpert, alle Oppositionsparteien haben am Mittwochabend gegen das Vorhaben der Minderheitsregierung gestimmt. Ministerpräsident José Sócrates hat daraufhin seinen Rücktritt erklärt und klargestellt: kein neues Sparpaket, das könnte gravierende Folgen haben, für "das Bild, das Prestige und den nationalen Ruf" Portugals. "Heute hat das Land nicht gewonnen, sondern verloren." Die ewige Krise hat einen neuen politischen Höhepunkt erreicht.


Seine Erklärung gibt Sócrates im Palácio de São Bento ab, dem Sitz des portugiesischen Parlaments. Hinter ihm, auf einem Gemälde, schippern Schiffe über einen Fluss, eine Stadt ist in goldenes Licht getaucht. Eine wehmütige Erinnerung an bessere Zeiten, die längst vorbei sind. Die Wirtschaft wächst nicht mehr, viele sprechen von einer verlorenen Dekade - und warnen vor einem weiteren Jahrzehnt der Stagnation. Portugal gehört bereits jetzt zu den ärmsten Ländern der Euro-Zone.

Vor dem romantischen Gemälde muss Sozialist Sócrates seine Niederlage eingestehen, in mehr als 2000 Tagen im Amt hat er dem Land Kürzungen und Streichungen verordnet und dabei viele Sympathien im Volk verloren. Die Löhne sinken, die Steuern steigen.

"Haltet euch fest: Wir werden fallen"

PEC4 nennen die Portugiesen das vierte Sparpaket, ein nüchterner Name für ein gefürchtetes Vorhaben. Die Mindestrenten von rund 200 Euro sollten eingefroren werden; Elendsrenten, sagen einige. Viele ältere Portugiesen leben in bescheidenen Verhältnissen. Und die Jugendlichen sind ebenso wenig optimistisch. 21 Prozent der Unter-25-Jährigen sind arbeitslos. Viele junge Akademiker hangeln sich von einem Wochen- oder Monatsvertrag zum nächsten und erhalten dafür miserable Löhne. Die einen rebellieren mit Streiks und Demonstrationen, die anderen resignieren. Die Jugend verschieben sie auf später.

Nach Sócrates' Rücktritt könnte nun genau das drohen, was er mit seinem Sparkurs verhindern wollte: das Euro-Rettungspaket für Portugal. Schon Anfang März erschien in der Zeitung "Expresso" ein Kommentar mit der Überschrift: "Haltet euch fest: Wir werden fallen". Der Aufprall werde heftig sein.

Finanzminister Fernando Teixeiro dos Santos warnte am Montag, eine politische Krise werde einen "kräftigen Stoß darstellen, der das Land in die Arme der ausländischen Hilfe treiben kann". Hängt Portugal erst mal am Tropf der EU, könnten diese noch härtere Sparmaßnahmen erzwingen, so die Argumentation.

Merkels Hochachtung für Sócrates

Viele Beobachter glauben, dass das Land bis zu möglichen Neuwahlen im Mai oder Juni längst Finanzhilfen benötigt. "Es ist kaum davon auszugehen, dass Portugal bis zu den Neuwahlen ohne fremde Hilfe auskommen wird", meint Commerzbank-Volkswirt Christoph Weil. Portugal leidet nicht nur unter der Schuldenlast, sondern auch unter hohen Zinsen, die das Land für seine Schulden aufwenden muss. Die Zinsen für längerfristige portugiesische Anleihen kletterten am Mittwoch auf die neue Rekordmarke von 8,13 Prozent.

Der Generalsekretär der OECD, Angel Gurria, sagte noch vor dem Rücktritt von Sócrates, dass das Scheitern des Sparpakets "Stress" auf den Finanzmärkten auslösen werde. Am Donnerstag verlor der Euro bereits leicht im Handel, er pendelte um die Marke von 1,41 Dollar.

Bei dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschef in Brüssel wird Portugal wohl eines der Hauptthemen sein. Sócrates muss dort das portugiesische Drama erklären - allerdings verfügt er längst nicht mehr über die politische Autorität, grundlegende Entscheidungen zu treffen.

Brot und Wasser

Dabei garantierte er seinen EU-Kollegen stets einen harten Reformkurs. Das Haushaltsdefizit konnte er von 9,4 Prozent im Jahr 2009 auf rund 7,3 Prozent im vergangenen Jahr drücken. Entsprechend reagierte Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag: Es sei "bedauerlich", dass der Premier keine parlamentarische Mehrheit für seinen "konsequenten Konsolidierungs- und Reformweg" bekommen habe. Sie wolle ihre "Hochachtung" für Sócrates ausdrücken.

Doch neben dem Sparplan der Regierung stellt sich auch immer die Frage: Wie soll sich Portugal erholen ohne Wirtschaftswachstum? "Das ist bereits die zweite Regierung, die Opfer des Sanierungsprogramms der EU wird, das ist kein gutes Zeichen", sagte ein Diplomat der Europäischen Union der Nachrichtenagentur dpa in Brüssel.


Und wer soll die Portugiesen aus dieser politischen Krise führen? Sócrates hat bereits jetzt angekündigt, bei Neuwahlen wieder für die Sozialisten antreten zu wollen. Doch bessere Chancen auf den Posten des Ministerpräsidenten hätte wohl Oppositionschef Pedro Passos Coelho. In den Umfragen liegt seine konservative PSD vorn. Auch sie hatte Sócrates im Parlament die Zustimmung verweigert, Passos Coelho schimpfte: "Man kann einem Land nicht Brot und Wasser verordnen." Mehrmals hat er erklärt, den Rettungsschirm für Portugal akzeptieren zu wollen. Er spekuliert vermutlich auch darauf, dass die Portugiesen die Schuld dafür in Sócrates' Amtszeit suchen würden.

Unklar ist, wie die Zeit bis zu den Neuwahlen überbrückt wird. Sócrates könnte kommissarisch im Amt bleiben oder an einen Parteikollegen abgeben. Führende Sozialisten hatten den Premier laut der Zeitung "Diario de Noticias" am Dienstag offenbar gedrängt, die Amtsgeschäfte an Parlamentspräsident Jaime Gama zu übergeben. Doch noch ist es nicht so weit. Am Freitag will sich Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva mit allen Parteien zu Gesprächen treffen und über das weitere Vorgehen beraten.