Montag, 21. März 2011

Obamas Sonnenschein-Trip verwirrt sein Land

Obamas Sonnenschein-Trip verwirrt sein Land



Darf er einfach so Schönwetter machen? Während in Libyen Raketen einschlagen, tourt Barack Obama durch Brasilien, redet kaum ein Wort vom Krieg. Seine Bürger daheim fühlen sich schlecht informiert über Sinn und Ziel des neuen Einsatzes - die Opposition will das ausschlachten.

Es ist Sonntagnachmittag, als Barack Obama im Stadttheater von Rio de Janeiro ans Rednerpult tritt. Im Fernsehen laufen gerade die Bilder von den Bombeneinschlägen in Libyen, aber der US-Präsident erwähnt sie mit keinem Wort.

Morgens ist er an der Copacabana vorbeigefahren, und danach hat er das Elendsviertel Cidade de Deus besucht, die "Stadt Gottes". Seine Frau Michelle war dabei und seine Töchter Sasha und Malia. Sie schauten sich eine Samba-Aufführung an. Obama war zu beobachten, wie er im Takt der Trommeln seinen Kopf bewegte und danach mit Kindern auf der Straße Fußball spielte.


Er schien sich ehrlich zu amüsieren und sah gar nicht so aus wie ein Präsident, der gerade einen Militärschlag autorisiert hat.

Fünf Tage lang ist Obama in Südamerika unterwegs. Auf einem Kontinent, von dem Präsident Richard Nixon einmal gesagt hatte, die Leute dort interessierten sich kein bisschen für ihn. Zwei Tage lang besucht Obama Brasilien, nun folgen Chile und El Salvador.


"Hallo Rio de Janeiro, hallo, schöne Stadt", ruft er und übt er sich danach gleich mehrmals auf Portugiesisch: Boa tarde, guten Tag.

Er spricht mehr Fremdwörter als üblich auf Auslandsreisen. Er sagt obrigado, danke, und genießt den freundlichen Applaus. Er ist einfach nur ein höflicher, mustergültiger Gast, kein breitbeiniger Kriegspräsident.

Seine Gegner zu Hause haben diese Reise deshalb schnell als "Sonnenschein-Reise" diffamiert. Dass er sie angesichts der Militärintervention nicht abgesagt hat, verstärkt diese Kritik nur. Darf sich Obama diesen Trip jetzt überhaupt leisten? Kann er einfach einen Krieg beginnen - und dann so tun, als wäre nichts passiert?

Obamas Schweigen irritiert. Je länger die "Operation Odyssey Dawn" dauert, desto verworrener wird das Bild für die Amerikaner daheim. Worin genau besteht diese Mission? Wie lange soll sie dauern? Fragen, auf die einem die Befehlshaber immer weniger klare Antworten geben, in Washington, Europa und Brasilien.

Fragen, die Obama im Präsidentschaftswahlkampf 2012 nachhängen könnten.

Politisches Gewitter im Anzug

Das Rätselraten eskaliert, als CNN in der Nacht zum Montag Bilder aus der Kommandozentrale Gaddafis zeigt. Ein vierstöckiges Gebäude ist völlig zerstört, augenscheinlich von einem Marschflugkörper. Die von den USA geführte Koalition bestätigt den Schlag, dementiert aber, Gaddafi persönlich sei das Ziel gewesen.

Kein Wunder, dass das Murren lauter wird, nicht nur in Washington. "Die Regierung hat eine Verantwortung, dem amerikanischen Volk, dem Kongress und unseren Truppen zu erklären, was die Mission in Libyen ist, und klarzumachen, wie das erreicht werden soll", schimpft der Republikaner John Boehner, der Sprecher des Repräsentantenhauses. Obama müsse "begründen, was Amerikas Rolle" in Libyen sei, "bevor weitere militärische Verpflichtungen eingegangen" würden.

Obama habe den Kongress "in Kenntnis zu setzen", fordert auch der demokratische Senator Jack Reed. Er beschwört die War Powers Resolution von 1973, wonach der Präsident dem Parlament über Kriegseinsätze Bericht erstatten muss. Nach 90 Tagen muss deren Fortsetzung vom Kongress autorisiert werden.

"Ist es unser Ziel, Zivilisten in Libyen zu schützen oder Gaddafi von der Macht zu entfernen?", will Howard McKeon wissen, der Vorsitzende des maßgeblichen Streitkräfteausschusses im US-Repräsentantenhaus. "So oder so, in welcher Form und wie lange werden militärische Ressourcen im Einsatz sein?"

Obama kann in Südamerika noch so viel Sonnenschein genießen: Zu Hause braut sich ein politisches Gewitter zusammen.

Das liegt eben nicht zuletzt auch an den immer widersprüchlicheren Angaben aller Seiten, wie eng der Libyen-Einsatz nun wirklich gefasst sei. Erst sagt Obama, Gaddafi habe jede Legitimität verloren und müsse gehen. Dann drückt er eine Uno-Resolution durch, die einen Regimewechsel explizit nicht autorisiert.

Erwartungen und Realitäten

Die Militärs beharren auch jetzt weiter darauf, es gehe nicht darum, Gaddafi "zu beseitigen", so US-Generalstabschef Mike Mullen am Sonntag gegenüber dem Sender NBC. Dann aber wiederholt der britische Premier David Cameron, Gaddafi müsse weg. Was nun?

"Obama hat Gaddafi gesagt, dass er gehen muss", erinnert Steven Clemons von der New American Foundation. "Geht Gaddafi nicht, wird Amerika in den Augen der Welt verlieren." Doch von alleine, so hat der Despot klargemacht, wird er nicht verschwinden.

Absolut keine "boots on the ground", betont Gates am Sonntag. Will heißen: Keine Bodentruppen, keine Invasion. Doch das sei, glaubt Ex-Sicherheitsberater Stephen Hadley, einer der Architekten des Irak-Kriegs, ein Rezept "für eine Niederlage".

"Vor ein paar Wochen wäre eine Flugverbotszone vielleicht genug gewesen", sagt der republikanische Senator John McCain auf CNN, "Jetzt reicht das nicht mehr. Es muss weitere Anstrengungen geben." Auch viele Experten erwarten längst, dass es ein längerer Einsatz wird - wie schon der Irak-Krieg, den Diplomaten damals als "Spaziergang" avisierten.

"Die Erwartungen, wie schnell das gehen wird, stimmen mit den Realitäten nicht überein", sagt Heather Hurlburt, die Chefin des National Security Networks, eines progressiven Think Tanks in Washington, der Website "Politico". "Das Endgame wird nicht so bald kommen." Doch das dürfe Obama natürlich nicht laut sagen - damit würde der Präsident eingestehen, dass dieser Einsatz schwieriger werden könnte.

Gegenwehr von den Demokraten

Ex-General Richard Myers, Generalstabschef während der Irak-Invasion, bezweifelt ebenfalls einen schnellen Erfolg. Sollten die USA Gaddafis Truppen stoppen, "wie gelangen wir dann zu dem erwünschten Endstadium?", fragt er auf CNN.

Die US-Regierung müsse Farbe bekennen, um "welche Art von Intervention" es sich handele, fordert Richard Haas, der Chef des Council on Foreign Relations und einer der namhaftesten Außenpolitik-Experten der USA, auf NBC. Seine Prognose: Früher oder später werde die Lage doch noch "Stiefel am Boden" erfordern. "Ist das wirklich strategisch notwendig und unerlässlich?", fragt er. "Ich finde nicht."

Senator Dick Lugar, der Top-Republikaner im Auswärtigen Ausschuss und ein entschiedener Gegner des Libyen-Einsatzes, wirft Obama vor, sich in ein militärisches Abenteuer zu stürzen, ohne es durchdacht zu haben. "Wir haben wirklich noch nicht herausgefunden, wer das in Libyen ist, den wir zu unterstützen versuchen", sagt er auf CBS. "Offensichtlich sind diese Leute gegen Gaddafi. Aber wer sind die?"

Es ist ironisch, dass die Kritik an Obama ausgerechnet von den vor kurzem noch so kriegslustigen Republikanern kommt. Am pikantesten für Obama dürfte allerdings die Schelte aus dem eigenen Parteilager werden. Denn die schärfste Gegenwehr gegen den Libyen-Einsatz formiert sich bei einer Gruppe progressiver Demokraten.

Unter der Führung von John Larson, dem Fraktionschef im Repräsentantenhaus, ziehen die Linken vor allem die Rechtsstaatlichkeit der "unilateralen" Aktion "in Zweifel". Unter den Rebellen: die Abgeordneten Jerrold Nadler, Dennis Kucinich, Maxine Waters und Sheila Jackson Lee, sonst treue Obama-Vasallen. Kucinich brachte sogar die irrwitzige Idee eines Impeachments, also eines Amtsenthebungsverfahrens, auf.



"Die hinterlassen Trümmer, und das können sie nicht abschwächen, indem sie sagen, wir hätten keine Truppen am Boden", sagt einer der kritischen Demokraten zu "Politico". "Es sind keine Truppen am Boden, aber es sind 'Tomahawks' in der Luft." Darüber müsse es eine politische Debatte geben.


Diese Debatte findet vorerst aber ohne den Präsidenten statt. Der lässt den Kriegssonntag auf dem Wahrzeichen Rios ausklingen, dem Corcovado - jenem Berg, von dem aus die gigantische Christus-Statue über die Stadt wacht. Nach der Serpentinenauffahrt steigt Obama aus der Limousine, begleitet von Michelle, Sasha, Malia und Beraterin Valerie Jarrett. Sie verbringen zehn Minuten auf dem luftigen Plateau unter der Statue. Obama flüstert seinen Töchtern etwas ins Ohr.

Tripolis ist mehr als 9000 Kilometer entfernt.