Dienstag, 8. März 2011

Kasse machen mit dem Selbstzerstörer

Kasse machen mit dem Selbstzerstörer


Das Ende war so bizarr wie die Tage zuvor. "Nach reiflicher Überlegung hat Warner Bros. Television Charlie Sheens Mitwirkung bei 'Two and a Half Men' mit sofortiger Geltung beendet", erklärte das TV-Studio kühl. Sheen stieg daraufhin auf ein Hausdach in Hollywood und fuchtelte mit einer Machete: "Endlich frei!"

Und so kollabierte die Karriere des bis dahin bestbezahlten Fernsehstars der Welt in einem kokelnden Schutthaufen aus Selbstdemontage, Drogensucht, Quotenrausch und Sensationsgier. Sheen - einstige Kinohoffnung ("Platoon"), dann TV-Klamauker ("Two and a Half Men"), dann Koks-Ritter der traurigen Gestalt - hat das Ende der Fahnenstange erreicht. Hollywoods "bad boy" implodierte im Dauersperrfeuer des eigenen Größenwahns.


Doch es ist nicht Sheen, 45, dem in dieser tragischen Parabel auf Amerikas Entertainment-Geschäft die schwerste Schuld zukommt. Sheens jüngste Ausfälle, die zuletzt selbst Hollywood-Veteranen schockierten, sind das unweigerliche Produkt eines kranken, von langem Drogenmissbrauch zersetzten Hirns.

Nein: Die moralische Mitverantwortung für dieses menschliche Trauerspiel liegt bei den Jasagern, Mitläufern und Voyeuren, die Sheen zynisch befähigten, öffentlich immer tiefer zu sinken - mit Millionengagen und Schmeichelverträgen, Ansporn und Leugnung - allen voran sein Agent, sein Anwalt, sein erst jetzt geflohener Publizist, das Studio Warner Brothers und das Network CBS. Angefeuert von den Medien und dem geifernden Trash-Publikum ließen sie diese Zeitbombe so lange ticken, wie sie Geld machten und Spaß hatten.

"Wir verdienen mit ihm viel Kohle"

Drogendealer sind eiskalte Geschäftsleute: Sie fördern die Sucht und profitieren davon. Das Gleiche ließe sich über Charlie Sheens Hollywood-Koterie sagen - die Produzenten in ihren gläsernen Eckbüros wie sein Star-Gefolge aus T-Shirt-Helden, die mit ihm am Pool hingen in der Hoffnung auf YouTube-Ruhm.

Absturz als Quotenkick: "Sie sind begeistert", zitierte die "New York Post" noch im Januar einen CBS-Insider über Sheens Eskapaden. "Sie halten das für Publicity im Millionenwert."

TV-Komödiant Tom Arnold ("Roseanne"), selbst lange ausgenüchtert, versuchte Sheen kürzlich zu helfen, indem er an einen seiner Vertrauten herantrat. Dessen abschlägige Antwort, so sagte Arnold der "New York Times" jetzt: "Wir verdienen mit ihm viel Kohle."

Kohle war auch der Grund, weshalb Warner Brothers erst so spät die Notbremse zog. "Two and a Half Men", eine seichte Sitcom, in der Sheen eine jugendfreie Primetime-Version seiner selbst spielte, war ein Goldesel. Seit 2003 räumte die Show mit ihrem Biertischhumor die Quoten ab, mit zuletzt fast 15 Millionen Zuschauern pro Folge, und spielte Werbe- wie Lizenzeinnahmen von mehr als 250 Millionen Dollar pro Staffel ein. Noch im Mai hatte CBS Sheens Vertrag bis 2012 verlängert, für rund zwei Millionen Dollar - pro Episode. Da war er aber längst aus dem Ruder gelaufen.

Doch erst jetzt überwog der Imageschaden den potentiellen Dollarverlust einer Verbannung Sheens. Sie waren nicht mehr tragbar, die mittlerweile täglichen Rauschtiraden gegen seine Arbeitgeber, Kollegen und Fans, multipliziert via Twitter, YouTube, Gossip-Shows, Paparazzi-Websites und die gefälligen Stichwortgeber bei CNN & Co., die sich um "Exklusivinterviews" rissen - sie offenbarten Hollywoods heuchelnde Komplizenschaft.

Sheen im TV-Interview: Ausgemergeltes Gesicht, gehetzte Augen

Trotzdem musste Warner Brothers warten, bis sich ein Notausgang bot aus Sheens juristisch wasserdichtem Vertrag. Diesen Notausgang öffnete schließlich erst Charlie Sheen selbst.

Von Interview zu Interview taumelte er immer tiefer in jenen paranoid-manischen Wahn, der typisch ist für das Endstadium der Drogensucht wie für den Beginn des Entzugs - "cold turkey", sagen sie hier dazu. Die Begleiterscheinungen waren klassisch: hervortretende Adern, ausgemergeltes Gesicht, gehetzte Augen, realitätsentrücktes Gelaber, die Worte zusammenhanglos und wie ein Trommelfeuer.

Flankiert von seinen "Göttinnen" - den zwei kichernden Porno-Girls, mit denen er lebt - bot er Einblick in sein paralleles Universum. Faselte Unverständliches ("Dies ist Krieg"), nannte sich "ultimativer Sieger", "Hexenmeister" und "total irrer Rockstar vom Mars", hetzte gegen seine Zuschauer ("Trolle") und die Anonymen Alkoholiker, beanspruchte Selbstheilung von seiner Sucht: "Ich habe einfach meine Augen geschlossen und es erzwungen."

Dann eroberte er mit seinem spätpubertären Geplapper Twitter. "Klein geboren ... jetzt riesig ... siegt ... (arbeitsloser Sieger)", lautet seine Selbstbeschreibung dort. Er pries "hot chicks", sein "Tigerblut" und seine "Adonis-DNA", und als ihn ein Fan aus Tulsa ansprach, antwortete er: "Ich habe Tulsa erfunden." Die Leute liebten es: Binnen einer Woche fanden Sheens Schwafeleien 2,3 Millionen "followers".

Zwischendurch verlangte er von CBS eine 50-prozentige Gagenerhöhung und posierte mit seinen zwei Kleinkindern, die sonst bei seiner baldigen Ex-Frau Brooke Mueller leben, mit der er vor Gericht um Unterhalt streitet. "Ich bin es leid, so zu tun, als sei ich nicht besonders", maulte er im NBC-Interview. "Du kannst mich mit einem normalen Gehirn nicht verstehen."

"Ich hatte eine schlechte Nacht"

Es war die Kulmination einer langen Odyssee, die Sheen von den Höhen des Ruhms ("Wall Street") bis hierher geführt hat. Drogen, Huren, Haftbefehle: Seit Jahren delektiert sich Amerika an seinen Exzessen. Mal verwüstete er Hotelzimmer, mal verprügelte er Frauen, meist waren Drogen im Spiel. Seine Dauer-Ausflucht: "Ich hatte eine schlechte Nacht."

So lange er aber am Set erschien, war seinen Chefs das alles egal. Doch dann ließ Sheen düster-antisemitische Spitzen gegen Chuck Lorre los, den Schöpfer von "Men" und einen der mächtigsten TV-Produzenten hier. Die Sitcom selbst, der er seinen Reichtum und seine Rettung vor dem Kino-Vergessen ja erst zu verdanken hat, bezeichnete Sheen als "Blechdose von einer Show". Das war zuviel.

In einem Brief an Sheens Anwalt Martin Singer, der der Website TMZ.com zugespielt wurde, enthüllte Warner Brothers, dass auch hinter den Kulissen längst nichts mehr im Lot war.

Sheens "gefährliches, selbstzerstörerisches Benehmen", so Warner, habe die Dreharbeiten schon seit Jahren "unterminiert". So beklagte das Studio seine "physische Erscheinung", seine "Unfähigkeit, den Text zu sprechen", seine "hetzerischen Kommentare, die wichtige Arbeitsbeziehungen vergiftet haben", und nicht zuletzt "das öffentliche Spektakel seines selbstverschuldeten Zerfalls". Hinzu kämen die Drogendelikte, eine "Straftat von moralischer Verderbtheit" - und ein Kündigungsgrund.

Sheen schoss in voller Form zurück: "Das sind sehr gute Nachrichten", lästerte er. "Sie begehen weiterhin Vertragsbruch, wie so viele Wale." Gott sei Dank müsse er nun nicht mehr "diese albernen Hemden" anziehen, die sein TV-Alter-Ego Charlie Harper in der Show trug.


"Ohne eine Intervention wird Sheen so lange weitermachen, bis ihm etwas Dramatisches zustößt", prophezeite Hollywoods Entzugspapst, der Drogentherapeut Drew Pinsky, kürzlich im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.


Sein Verhalten hat tatsächlich alle Symptome einer Drogenpsychose. Am Montagabend hatte Sheen noch ein Web-Video produziert, das ihn im bisher schlimmsten Zustand zeigt. Sein wirres Haar steht hoch, das Gesicht ist bleich wie ein Totenkopf, er raucht Kette, vergräbt den Kopf in den Armen, stottert, sitzt keine Sekunde still. "Interessiert mich 'nen Scheißdreck", wütet er in ein Telefon. "Interessiert mich 'nen Scheißdreck."

Jetzt hat auch Hollywood abgeschaltet.